
Matratzenbezüge, Yoga-Matten, Teppiche, Jacken, T-Shirts, Socken, Slips, Wischtücher, Verbandsmaterial – ein Ausschnitt aus einer Liste von Textilien, die oft Nanosilber enthalten. In oder auf den Fasern befestigen Hersteller aus aller Welt Nanopartikel aus Silber, die Bakterien töten sollen. Die antibakterielle Ausstattung schützt vor Körpergeruch, der aus den Ausscheidungen schweißfressender Bakterien entsteht, aber auch vor Krankenhauskeimen.
Weil Nanosilber als stark wassergefährdend gilt – schon winzige Konzentrationen davon haben in Laborversuchen Wasserlebewesen vergiftet – warnen Wissenschaftler davor, es in immer mehr Alltagsprodukten einzusetzen. Zudem könnten Mikroorganismen Resistenzen gegen Nanosilber entwickeln und dessen sinnvollen Einsatz in der Medizin dadurch untergraben. Der Umweltrat der Bundesregierung und das Bundesinstitut für Risikobewertung sähen es aus diesen Gründen lieber, wenn Hersteller Nanosilber so lange meiden würden, bis die Risiken für die Umwelt und die menschliche Gesundheit geklärt sind.
Im Forschungsprojekt „Umsicht“ haben Forscher aus Industrie, Akademie und Behörden mit einem Gesamtbudget von 3,7 Millionen Euro untersucht, welches Risiko von Nanosilber in Textilien ausgeht. Mitte Dezember stellte das Konsortium in Bönnigheim seine Ergebnisse vor.
So lange die winzigen Partikel in oder auf den Textilfasern bleiben, stellen sie kaum eine Gefahr für die Umwelt dar. Daher untersuchten die Umsicht-Forscher zunächst, ob durch Waschen oder durch Reibung beim Tragen Nanopartikel freigesetzt werden und in Wasser oder Atemluft landen.
Dem Waschen setzten die Nanopartikel am wenigsten Widerstand entgegen. Nach nur fünf Waschgängen gaben Marktprodukte zwischen fünf (Wischtücher) und 30 Prozent (Socken) der Nanosilber-Partikel frei, wie Edith Claßen vom Hohenstein Institut, einem der Textilindustrie nahe stehendem privaten Forschungsinstitut, berichtete.
Um systematisch untersuchen zu können, welche Faktoren die Auswaschung der Nanopartikel beeinflussen haben die Forscher selbst Textilien mit Nanopartikeln ausgestattet. So konnten sie untersuchen, ob Baumwolle oder Kunststofffasern die Partikel besser bei sich halten und ob es besser ist, die Oberfläche der Fasern zu beschichten oder die Partikel in die Faser zu einzuarbeiten.
Wenn die Nanopartikel an der Oberfläche befestigt wurden, wie es bei Marktprodukten meist der Fall ist, reichten bei den Kunststofffasern sechs Waschgänge, um mehr als 90 Prozent der Partikel wegzuspülen. Bei Baumwollfasern verschwanden schon nach einem Waschgang mehr als 90 Prozent der Partikel.
In die Fasern eingearbeitete Partikel hielten der Beanspruchung besser stand: Eine Socke aus Kunststofffaser gab nach fünf Waschgängen 45 Prozent der Partikel frei, eine Socke aus Baumwolle entließ 30 Prozent der Partikel.
Der Wirkung tut der Verlust an Silber-Nanopartikeln wenig Abbruch. Selbst in winzigsten Konzentrationen wirke das Nanosilber noch, sagte Claßen. Allerdings habe es Textilien gegeben, die nach 20 Wäschen ihre antimikrobielle Wirkung verloren hätten, fügte die Forscherin hinzu. „Eine garantierte Wirkung braucht Vorgaben“, sagte sie.
Das meiste Nanosilber landet nach wenigen Waschgängen im Wasser
Nur wenn bei der Produktion ein Rezept eingehalten wird, ist der Verbraucher also auf der sicheren Seite. Doch eine solche Qualitätskontrolle gibt es nicht. Bei rund 90 Prozent der Produkte werde das Nanosilber an der Oberfläche der Fasern befestigt, anstatt in die Faser eingearbeitet, sagte Karsten Schlich vom Fraunhofer-Institut in Aachen. Das ist ein starker Hinweis darauf, dass das meiste Nanosilber nach kurzer Zeit im Waschwasser landet.
Anders als das Waschen scheint der Abrieb beim Tragen, Wischen oder auf Teppichen Herumlaufen keine Nanopartikel freizusetzen. Zumindest keine frei in der Luft schwebenden, wie Britta Neuweger vom Bremer Umweltinstitut berichtete. Sie simulierte die Abnutzung von Nanosilber-Textilien in einer Prüfkammer. Das Reiben setzte zwar Partikel in die Luft frei. Doch zum einen gelangten relativ wenige Partikel in die Luft, nämlich mit 300 Partikel pro Kubikzentimeter nur rund ein Zehntel der Feinstaubkonzentration, die in einem Raum ohnehin vorhanden ist. Und es handelte sich um Faserpartikel, in die Nanosilber-Partikel eingebettet waren. Der Träger eines Nanosilber-Textils atmet also wahrscheinlich kaum Silber-Nanopartikel ein.
Das Gros der Nanopartikel gelangt deshalb wohl über das Waschwasser in die Kläranlagen. Ob sie von dort weiter in die Umwelt vordringen, untersuchte Karsten Schlich vom Fraunhofer-Institut in Schmallenberg. Das meiste Nanosilber (90 %) bleibt im Klärschlamm hängen, wie schon frühere Untersuchungen gezeigt haben. Schlichs Team bestätigte dies mittels einer Modell-Kläranlage.
Wenn der Klärschlamm zum Düngen auf Felder gebracht wird, transportiert er das meiste Nanosilber also ebenfalls dorthin. Allerdings ist in mehreren deutschen und österreichischen Bundesländern sowie in der Schweiz das Ausbringen des Klärschlamms auf Felder verboten. In Südeuropa hingegen gelangten 75% des Klärschlamms auf Felder, sagte Schlich.
Nanosilber beeinträchtigt Bodenlebewesen
Die Forscher um Schlich untersuchten die Wirkung des mit Nanosilber kontaminierten Klärschlamms auf Bodenlebewesen, indem sie solchen in Bodenproben mischten. Das Nanosilber zeigte Wirkung. Am empfindlichsten reagierten so genannte Nitrifikanten, also für den Stickstoffkreislauf im Boden wichtige Mikroorganismen, informierte Schlich. Die Hemmung ihrer Aktivität setzte erst nach etwa 100 Tagen ein. Diese Langzeitwirkung erklärte Schlich mit dem Abbau des Klärschlamms im Boden, der das in ihm gebundene Nanosilber freigebe.
Auch Pflanzen nahmen Silber in Spross, Wurzeln und Blätter auf und wuchsen weniger stark, wie entsprechende Versuche von Schlichs Team zeigten. Das gehemmte Wachstum trat allerdings erst ab einer recht hohen Silberkonzentration auf.
Der Forscher hob hervor, dass die toxische Wirkung auf die Mikroorganismen und die Pflanzen ebenso stark war, wie die durch reine Silber-Nanopartikel. Das ist ein Hinweis darauf, dass die Nanopartikel unverändert bleiben. Dennoch betonte Schlich, dass noch erforscht werden müsse, ob sich Nanosilber in der Umwelt verändere, etwa indem es sich mit Schwefel verbinde.
Wie viel Nanosilber Klärschlamm enthalten darf, ohne dass das Aufbringen die empfindlichen Nitrifikanten schädigt, berechneten die Aachener Forscher anhand der Menge an Klärschlamm, die pro Hektar auf Felder gebracht werden darf. Demnach ist es sicher, 30 Milligramm Nanosilber pro Kilogramm Klärschlamm einmalig auf das Feld zu bringen. Nach Modellrechnungen des Umweltbundesamtes (siehe unten) enthält ein Kilo Klärschlamm derzeit zwischen 0,3 und 4 Milligramm Nanosilber.
Schlich verwies auf den steigenden Nanosilber-Gehalt im Klärschlamm durch immer mehr Nanosilber-haltige Produkte. „Bei wiederholtem Aufbringen kann ein Risiko für Organismen nicht ausgeschlossen werden“, schloss der Forscher. Schlich plädierte dafür, den Silbergehalt in den Böden zu überwachen und einen Grenzwert einzuführen. „Den Prüfparametern der Klärschlammverordnung AbfKlärV sollte der Silbergehalt hinzugefügt werden“, sagte Schlich. Ein möglicher Anstieg des Silbergehaltes würde so frühzeitig erkannt werden.
Fehlende Daten über Produktionsmengen erschweren Risikoabschätzung
Klärschlamm mit erhöhtem Gehalt an Nanosilber sollte nicht ausgebracht werden, meinte auch Doris Völker vom Umweltbundesamt (UBA) in Dessau, die eine Risikoabschätzung des UBA über Nanosilber in Textilien vorstellte.
Dabei hat das UBA die Nanosilber-Konzentrationen abgeschätzt, die das Waschen von Nanosilber-haltigen Textilien in Oberflächengewässern, Sedimenten, Böden und im Klärschlamm verursacht. Diese Werte verglich das UBA-Team dann mit Konzentrationen, die auf die jeweils empfindlichste Art in Laborversuchen toxisch gewirkt hat. In Oberflächengewässern ist das der Große Wasserfloh. Völker und ihre Kollegen fanden, dass die geschätzte Nanosilber-Konzentration in Oberflächengewässern nur knapp unterhalb eines Wertes liegt, der dieser Art gefährlich werden könnte.
Als Warnsignal wertete Völker diesen Befund jedoch nicht, da die Schätzung der Umweltkonzentrationen auf Modellrechnungen beruhten, die die Nanosilber-Freisetzung eher über- als unterschätzten. So nahm Völker etwa an, dass fünf Prozent der Textilien in einer durchschnittlichen Waschtrommel Nanosilber enthalten und pro Haushalt jeden zweiten Tag gewaschen wird.
Diese Herangehensweise ist zweite Wahl, die das UBA in Ermangelung von Daten über die Herstellungsmengen getroffen hat. Doris Völker forderte eine verbesserte Informationssituation für Risikoforscher. Weil es keine Kennzeichnungs- oder Meldepflicht für Nanosilber gibt, schwanken die Schätzungen über Herstellungsmengen zu stark als dass sie für die Risikoabschätzung tauglich wären. Neben Produktionsmengen seien Informationen über Anwendungsarten sowie die Verarbeitung von Nanomaterialien in Produkten wünschenswert, sagte Völker.
Dass die Studie des die Menge des Nanosilbers in der Umwelt unterschätzen könnte, weil sie die Nutzung der Partikel in Textilien, die in Gewerbe und in Krankenhäusern eingesetzt werden nicht berücksichtige, wurde in der Diskussion nach Völkers Vortrag angesprochen. Das Modell sei zwar auf die private Nutzung von Nanosilber ausgestatteten Textilien beschränkt, gehe dabei aber von sehr konservativen Annahmen aus, so dass von einer Unterschätzung der Eintragsmengen auch durch gewerbliche Nutzung oder Nutzung in Krankenhäusern nicht auszugehen sei, antwortete die Biologin. Auf Nachfrage von nanomagazin.net betonte Völker, dass davon auszugehen sei, dass der Eintrag von Nanosilber über Textilien besonders relevant für die Umwelt sei.
Bessere Informationslage durch Nanoproduktregister
Eine Gesamtbetrachtung aller Pfade, die Nanosilber aus Produkten wie Kosmetika oder Küchenutensilien in die Umwelt nimmt, sei dennoch wünschenswert. Dies sei aber nur mit einer verbesserten Informationslage zu machen. Völker befürwortet ein europaweites Produktregister, welches auf bestehende Stoff- und Produktregelungen anknüpft, so z.B. an die EU-Chemikalienverordnung REACH.