Was bringt die Nanokennzeichnung für Lebensmittel ? Zwei Standpunkte zur Kennzeichnungspflicht für Nanomaterialien in Lebensmitteln, die zeigen, dass der Nutzen des Labels für den Verbraucher derzeit eher fragwürdig ist. Das muss aber nicht grundsätzlich so sein.

Nano-Label soll nicht in die Irre führen und darf Innovationen nicht behindern
von Sieglinde Stähle, Spitzenverband der Lebensmittelwirtschaft BLL e.V.
Manchmal eilen Vorschriften auch der Realität voraus….
Für Lebensmittel und Lebensmittelzutaten wird Ende 2014 eine Vorschrift greifen, die bereits seit letztem Jahr erlassen ist: Die neue europäische „Lebensmittelinformationsverordnung“ (Verordnung (EU) Nr. 1169/2011) verlangt, dass zukünftig Zutaten in zusammengesetzten Lebensmitteln, die als solche „technisches“ bzw. „absichtlich hergestelltes Nanomaterial“ sind, auch entsprechend gekennzeichnet werden müssen. Der Name einer solchen Zutat ist durch die Vorsilbe „nano“ zu ergänzen. Diese Kennzeichnungspraxis gibt es bereits bei Kosmetika.
Spätestens ab Anfang 2015 wird sich also zeigen, dass – entgegen so manchen Unterstellungen – die Nanotechnologie doch nicht weit verbreitet Einzug in die Lebensmittel gehalten hat. Es werden voraussichtlich auf den Etiketten nur sehr selten Zutatenverzeichnisse mit „nano“-Hinweis zu finden sein. Derzeit gibt es zwar noch einige Diskussionen über erforderliche Klarstellungen, z.B. was genau mit „technisch hergestelltem Nanomaterial“ gemeint ist und welche Zutaten so einzuordnen sind. Sicher darf der interessierte Verbraucher erwarten, dass er auf diesem Weg besonders darauf hingewiesen wird, dass er in dem Produkt eine innovative, neuartige Lebensmittelzutat findet, die bislang so nicht verwendet wurden und ein Ergebnis der Nanotechnologie ist. Entsprechend klar muss die Vorschrift ausfallen, denn Lebensmittelhersteller haben kein Verständnis für eine Kennzeichnungspflicht, die Rezepturen und Technologien erfasst, die seit Jahrzehnten eingesetzt werden, und aufgrund einer verunglückten Definition nunmehr „nano“ sein sollen. Dies wird auch den aufgeklärtesten Verbraucher in die Irre führen.
Potentiell – und darüber berichten Experten – gibt es technisch hergestellte Nanomaterialien, die sich eignen, als besondere, funktionalisierte Lebensmittelzutaten eingesetzt zu werden. Vor der Verwendung müssen diese jedoch – auch wenn sie keine Zusatzstoffe sind – die Hürden der behördlichen Zulassung nehmen. D.h. solche neuen Nano-Zutaten müssen in einem entsprechenden Antrags- und Bewertungsverfahren objektiv von Lebensmittelwissenschaftlern der EFSA freigegeben werden. Dieser Weg ist lang, aufwändig und gut zu überlegen; da am Ende nicht nur die Bestätigung der Sicherheit und Unbedenklichkeit solcher Zutaten, sondern auch noch die Kennzeichnungspflicht steht, werden derzeit Neuentwicklung denkbarer Anwendungen eher verhindert als gefördert. Denn neutrale Informationen können – bei aller guten Absicht- auch u.U. als „Warnung“ ausgelegt werden und einem Produkt schaden.
Die Kennzeichnungspflicht gilt nicht für Nanomaterialien als Bestandteil von Lebensmittel-verpackungen; für diese gilt ohnehin der Grundsatz, dass sie nicht auf Lebensmittel übergehen dürfen. Im Zutatenverzeichnis genannt wären sie für Verbraucher eine irreführende Botschaft.
Bei allen offenen Fragen um die Möglichkeiten der Nanotechnologie im Lebensmittelbereich ist zumindest die Informationssituation für die Endverbraucher klar und nicht mehr angreifbar; der Gesetzgeber hat für die erwünschte Transparenz gesorgt.
Nano-Label und Sicherheitstests für Nanopartikel müssen Hand in Hand gehen
von Christian J. Meier, Journalist, Redakteur nanomagazin.net
Regulierung ist unsexy. Welcher Hersteller freut sich schon über neue Sicherheitstests für Nanostoffe oder eine Kennzeichnungspflicht? Industrieverbände lehnen die Forderung nach neuen Regeln denn auch oft reflexartig ab. Die Regulierung würge Innovationen ab, schade der Technologie und damit der Wettbewerbsfähigkeit der heimatlichen Industrie, oder eine Kennzeichnung werde pauschal als Warnhinweis verstanden, lauten die Debatten-Standards.
Ähnlich wird auch bei der Kennzeichnungspflicht für Nanomaterialien in Lebensmitteln argumentiert.
Genauso abstrakt und abgegriffen klingen aber auch die Argumente von Umwelt- und Verbraucherschützern für eine Nano-Kennzeichnung. Der Verbraucher habe das Recht zu erfahren, was in Konsumprodukten steckt. Die Aktivisten feiern die Kennzeichnungspflicht für Nanomaterialien in Lebensmitteln als wichtigen Schritt für mehr Verbraucherschutz und Transparenz.
Die aus den Schubladen gezogenen Debatten-Beiträge von beiden Seiten sind indes wenig stichhaltig.
Eine gut durchdachte Regulierung kann Innovation fördern, statt sie zu behindern. Das europäische Chemikalienrecht REACH zum Beispiel verlangt den Ersatz problematischer Chemikalien durch neue Stoffe. Das zwingt die europäische chemische Industrie, neue Stoffe zu entwickeln. Ein Aufwand, sicherlich. Doch es verschafft der europäischen Industrie einen Vorteil auf dem Weltmarkt, wenn bedenkliche Chemikalien auch in anderen Kontinenten ersetzt werden. Dass das funktioniert, zeigt das Beispiel der Phtalate: Die Weichmacher werden seit den 1990er Jahren in der EU reguliert und z.B. in Spielzeug verboten. Seitdem steigt die Anzahl von Patenten für Ersatzstoffe.
Auch das „Warnlabel“-Argument verfängt nicht. Zwar lehnen Verbraucher mehrheitlich Nanomaterialien in Lebensmitteln ab. „Nano“ auf der Verpackung wird wohl tatsächlich oft zum Kaufverzicht führen. Wenn in Zukunft aber neu entwickelte Nanomaterialien verpflichtenden Sicherheitstests zugeführt werden, dann wird das „Nano“-Label zu einem Gütesiegel, das sagt: dieser Inhaltsstoff ist nicht nur ewas Neues mit neuer Funktion, sondern er ist auch sicher. Die Regulierung würde somit zu einem Vertrauensmotor, der beim Marketing neuer Inhaltsstoffe hilft.
Auf der anderen Seite wirkt die Freude der Umwelt- und Verbraucherschützer über die neue Transparenz durch das Nano-Label auf Lebensmitteln wenig durchdacht. Denn der Informationsgehalt des Labels ist denkbar gering. Es sagt nur, dass der Inhaltsstoff, hinter dem in Klammern „nano“ steht, in Form winziger Partikel vorliegt. Es sagt weder etwas über potenzielle Risiken noch über den Nutzen.
Fazit: Einfach ein Nano-Label aufs Lebensmittel zu pappen ist kein Sieg des Verbraucherschutzes. Es ist nutzlos, solange die gekennzeichneten Inhaltsstoffe nicht gezielt daraufhin untersucht worden sind, ob ihre Kleinheit ein Sicherheitsproblem darstellt oder nicht. Kennzeichnungspflicht und neue Regeln für die Testung von Nanomaterialien müssen also Hand in Hand gehen.
Damit das möglich wird, müssen beide Seiten, die Industrie sowie die Umwelt- und Verbraucherschützer aus ihren Schützengräben kommen und in eine seriöse, konstruktive Debatte einsteigen.
Am Ende dieses Prozesses kann dann ein Label stehen, das echte Transparenz liefert. Darauf muss nicht unbedingt „nano“ stehen. Es könnte auch „geprüfte Nanotechnologie“ lauten.
Eine Kennzeichnung zugesetzter Rohstoffe in der Form, in der sie auch zugesetzt wurden (etwa in nanoskaliger Form) ist richtig, daran besteht für mich kein Zweifel. Lese ich aber schon von einem „Nano-Label“ oder geht es gar Richtung „nano-Siegel“ stellen sich bei mir als Naturwissenschaftler die Nackenhaare auf. Mittlerweile wird ja alles mit echten oder erfundenen Siegeln gesiegelt was sich irgendwie bedrucken lässt. Glutenfreier, laktosefreier Zucker, biologisch hergestellt und ohne Gentechnik, dazu noch fair gehandelt – ja danke. Glutenfreier Käse, fettfreie Gummibärchen und laktosefreier Schinken, alles irgendwie Bio und in Zukunft dann noch mit oder ohne „geprüfter Nanotechnologie“?
Alles ein großer Marketing-Clou, je mehr Siegel ein Lebensmittel hat und je weniger vermeintlich böses Gluten oder Laktose drin ist, desto besser. Den Dämon „Gentechnik“ lasse ich mal ganz aus dem Spiel…
Also Kennzeichnung auf der Zutatenliste ja bitte, Label, Siegel und Co. nein danke.
Naja, Kennzeichnung hin oder her — sie darf nicht dazu führen, dass die Verantwortung vom Hersteller (oder von der Überwachungsbehörde) auf den Verbraucher geschoben wird.